Schulgeschichte

 

Aus der Frühzeit des MKG: Vom ersten Spatenstich bis zum ersten Unterricht
 

Nicht aus den Akten

Anekdotisches zur Frühgeschichte des heutigen MKG

erzählt von Wolfgang Schulte


Jemand hat gemeint, im Leben komme es immer auf das Leben selbst an, nicht auf Ergebnisse. Das mag ja so sein, wenn man es kritisch und human bedenkt; aber das war ganz und gar nicht die allgemeine Tendenz, damals um 1966. Jeder wollte selbstverständlich etwas vor sich bringen, Ergebnisse zeitigen, seine Leistung in den großen Wiederaufbau und Ausbau einbringen. So auch ich, wenn man mich ließe.
 

 

 

 

Wolfgang Schulte 1962 auf einem Kollegiumsausflug zu den Bayer-Werken, Leverkusen (2. v. r.)

 


Und eine hohe und weitsichtige Kultusbehörde hatte offenbar in Erwägung gezogen, mich wirken zu lassen: mit dem Auftrag für die Gründung eines (zweiten) Gymnasiums in Porz. Ich erfuhr davon, als sich bei einem geselligen Anlass unversehens ein Gespräch darüber ergab mit einem hochkarätigen Titelträger von ziemlich oben. Er schenkte mir mehrfach sein Lächeln und schließlich einen klugen und besorgten Blick im Zusammenhang mit meinem nicht vorhandenen Parteibuch: „Ein guter Lehrer sind Sie ja, wie man hört, anerkannt als Fachleiter auch, aber Schulleiter?" Ich fühlte ganz heftig, dafür war ich wirklich eine Nummer zu klein, wenn ich jetzt nicht die richtige Antwort fand, nicht zu kess, aber doch selbstbewusst. Erstaunt hörte ich mir zu: unbedingt, ich wolle das machen, und ich würde es bringen. Fortan wusste ich: es gibt Momente, die erfordern den Verzicht auf falsche Scham.

Tage des Wartens folgten. Als ich mehr wusste über die Stadtteile Grengel, Wahnheide, Wahn und Lind und die Entlastungsaufgabe der neuen Schule, drängte ich auf eine Erkundungsfahrt; und so fuhr unsere Familie, etwas frühzeitig, noch war nichts entschieden, von Düsseldorf nach Porz, um meine künftige Wirkungsstätte in Augenschein zu nehmen. Das gymnasiale Nichts jedoch, das uns in der bezeichneten Region empfing, war überwältigend - da war nur grüne Wiese und braunes Feld, sonst absolut nichts, keine Nachtigallenstraße, keine Vermessungsstangen, keine Baubude, von einem Schulhaus ganz zu schweigen. Wir kurvten eine Weile ergebnislos zwischen Grengel und Wahnheide umher, bis wir eine Bürgerin an der Sportplatzstraße nach dem Stand der Dinge fragten. „Nein, ein Gymnasium hier, davon habe ich nichts gehört." Und dann setzte sie begütigend hinzu, meine betretene Miene bemerkend: „Aber Kinder hat's genug." Eine sehr gute Antwort, denke ich bis heute, von unabsehbarer Perspektive. Denn: ohne Kinder keine Schule.

Tatsächlich konnte das „Staatliche Gymnasium in Porz i.E." (= im Entstehen) dann doch zu Beginn des Kurzschuljahres 1966 anlaufen, freilich nicht eben spektakulär. Am ersten Schultag schauten mir 41 Sextaner, die sich auf dem Schulhof des Gymnasiums an der Humboldtstraße eingefunden hatten, erwartungsvoll entgegen, umbrandet von Hunderten von Schülern, die alle nicht die neue Schule waren. Eilig führte ich die kleine Schar in ihren Klassenraum, um meine Schule für mich zu haben. Verständlich, dass eine aufmerksame Lokalpresse am folgenden Tag mit der Schlagzeile aufmachte: „Preisfrage in Porz: Wo ist die fünfte Schule?" Vier neue Schuleinrichtungen wurden aufgezählt und dann gerügt: „Die fünfte, das neue Staatliche Gymnasium, (fanden wir) nicht. Die letzte Information hatte gelautet, es komme in der neuen katholischen Volksschule in Wahnheide unter. Dort fanden wir es nicht; es sollte- wie gesagt wurde - im Städtischen Gymnasium an der Kaiserstraße aufgenommen worden sein. Es wäre Sache der staatlichen Behörde gewesen, der Presse zu sagen, wo das zweite Gymnasium zu finden ist."

Ach, meine wackeren 41 Gründungskinder, sie waren's wohl auch ohnedem zufrieden. So lebten wir unter dem Dach des Städtischen Gymnasiums, zehrten (dankbar) von seinen Angeboten und hielten mangels anderer Realitäten unser „staatliches" Bewusstsein wach. Geschichtsbewanderte Kollegen der gastgebenden Schule aber nannten den zugereisten Schulleiter in ihrer Mitte mit liebenswürdigem Spott den „Johann ohne Land", der, wie man nachlesen kann, der jüngere Bruder des Richard Löwenherz und sein Nachfolger als König von England war. Von Landlosigkeit ist da eigentlich nicht die Rede; den Beinamen Ohne-Land gab der Vater seinem zunächst nicht erbberechtigten jüngsten Sohn, der im übrigen mit Gütern reichlich ausgestattet war, als eine Art Kosenamen. Doch wer will so pingelig sein und das wissen?

Als Ermutigung konnte man werten, dass das Land seine einklassige Schule in Porz durch punktartige Signale und Impulse gleichsam ferngelenkt am Leben hielt. Ein erster bescheidener Haushalt wurde bewilligt, der Kauf von Aktendeckeln, Bleistiften und dergleichen möglich. Vor allem aber: nach wenigen Wochen erhielt die Schule eine (halbe) Sekretärinnenstelle zugewiesen, wodurch der klassenleitende Schulleiter nun wahrhaft zum „Chef" avancierte. Gewichtig schrieb ich die Stelle in der Zeitung aus; und wirklich meldeten sich drei Bewerberinnen - im Sekretariat des Städtischen Gymnasiums, das eben damals für alles Gymnasiale gut war. So präsentierte mir die dortige Sekretärin (deren jugendlicher Charme in Porz im Gespräch war) das Ergebnis meiner Annonce, und zwar bereits sachkundig und fürsorglich gesichtet: „Wir meinen hier: wenn doch der Herr Direktor Schulte möchte die ältere Dame nehmen". Einmal mehr hielt ich mich an Goethes Rat, „der Frauen Wort zu achten", fackelte nicht lange, sondern tat so - und gewann in Frau Kühne eine tatkräftige und loyale Mitarbeiterin, die dann zehn Jahre lang zur gedeihlichen Entwicklung der Schule wesentlich beitrug. Bis zum Erwerb einer schuleigenen Schreibmaschine brachte sie zunächst mal ihre eigene mit, damit unser Sekretariat - provisorisch in einem Elternsprechzimmer etabliert - doch nach etwas aussah.

Rasant wachsende Schülerzahlen verschafften der jungen Schule kräftigen Aufwind. Bereits zu Ende 1966 wurde sie organisatorisch selbständig: eine erste Lehrerzuweisung erfolgte, die Stadt Porz vermietete dem Land einen funktionsgerechten Pavillontrakt bei der Kopernikusschule (Bonner Straße), der eben fertig gestellt worden war. Optimismus breitete sich aus. Unvergesslich bleibt mir der Unterrichtsbeitrag eines 11jährigen aus jener Zeit, der die allgemeine Stimmung auf eine treffende Formel brachte. Ich nahm im Deutschen (viel zu früh) Rilkes Gedichte „Advent" durch. Von Tannen ist da die Rede, von denen manche ihre fromme und lichterheilige Zukunft ahnt, und so

  ...streckt sie die Zweige hin - bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht voll Herrlichkeit.
 

Das war nun also vorgetragen und verklungen. Bemüht, aber ratlos sahen mich die Kinderaugen an. Angestrengtes Nichtverstehen. Und ich wollte so gern etwas von Rilke (wie ich ihn verstand) hinüberkriegen. In sträflicher Inquisition verfiel ich auf Fragen wie: Was sagt uns das? Keine Regung in der Klasse, natürlich. Was meint der Dichter? lasse ich nicht locker. Dann der aufzeigende Arm. Und dann die Transferleistung ins Leben: „Das ist, wenn's Jeschäft aufblüht". Ich ließ es, glaube ich, dabei bewenden.

Gestützt auf ein eigenes Schulhaus in Wahn (seit 1969 mit einem 1. Bauabschnitt) und das rasch sich vergrößernde Lehrerkollegium, konnten wir daran gehen, erstmals eine Partnerschule zu suchen und Schüleraustausch ins Werk zu setzen. Bald war es so weit; ein wohldurchdachtes Programm mit Exkursionen und Besichtigungen, amüsant und lehrreich zugleich, rollte ab, und die Eltern unserer Schüler taten ihr Bestes, um sich als vorbildliche Gastgeber zu erweisen. Zuversichtlich sahen wir der Stunde des Abschieds entgegen, die im Beisein der Presse ein Resümee bringen sollte von unserm Vorstoß ins Neuland der Partnerschaft. „Wie sind eure Erfahrungen?" mussten sich die girls and boys fragen lassen. Ihre Antwort war schlechthin verblüffend. Nichts sagten sie vom Hohen Dom, nichts von Drachenfels und Beethovenhaus. Nichts vom Einblick in unsern Unterricht. „Die Deutschen essen und trinken viel", war der beherrschende Eindruck; und so stand's tags darauf in der Zeitung zu lesen.

Wahrscheinlich endet die Frühgeschichte der Schule mit der Entlassfeier für unsere ersten Abiturienten (1973). Ein strahlend schöner Morgen sah eine illustre Festgesellschaft im Foyer versammelt, die Spitzen der Stadt, das Kollegium, die Eltern, die Abiturienten, dunkler Anzug, lange Kleider. Musik, Sonntagsreden zwischen Lorbeerbäumen, alles heiterwürdig, eben passend, ein wenig ergriffen auch. Da naht sich der Briefträger auf seinem täglichen Gang den Glastüren, kommt herein, durchschreitet die Festlichkeit, ist kein bisschen irritiert, grüßt freundlich herüber und meint höflich: „Lassen Sie sich doch bitte nicht stören." Niemand, so kommentierte die Presse dies Ereignis, hätte an diesem Tag hier stören können.

Vorbei, vorbei - und so geht es mit allen Geschichten. Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Und vielleicht hast du ein siebtes Kind, o Marie A. Aber da bleibt die Wolke im blauen Mond September, sehr weiß und ungeheuer oben. So jedenfalls künden die Dichter.



Maximilian-Kolbe-Gymnasium (hin)