Aus der Frühzeit des MKG:
Vom ersten Spatenstich bis zum ersten Unterricht
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Wolfgang Schulte 1962 auf einem Kollegiumsausflug zu den Bayer-Werken, Leverkusen (2. v. r.) |
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Und eine hohe und weitsichtige Kultusbehörde hatte offenbar in Erwägung
gezogen, mich wirken zu lassen: mit dem Auftrag für die Gründung eines
(zweiten) Gymnasiums in Porz. Ich erfuhr davon, als sich bei einem
geselligen Anlass unversehens ein Gespräch darüber ergab mit einem
hochkarätigen Titelträger von ziemlich oben. Er schenkte mir mehrfach
sein Lächeln und schließlich einen klugen und besorgten Blick im
Zusammenhang mit meinem nicht vorhandenen Parteibuch: „Ein guter Lehrer
sind Sie ja, wie man hört, anerkannt als Fachleiter auch, aber
Schulleiter?" Ich fühlte ganz heftig, dafür war ich wirklich eine Nummer
zu klein, wenn ich jetzt nicht die richtige Antwort fand, nicht zu kess,
aber doch selbstbewusst. Erstaunt hörte ich mir zu: unbedingt, ich wolle
das machen, und ich würde es bringen. Fortan wusste ich: es gibt
Momente, die erfordern den Verzicht auf falsche Scham.
Tage des Wartens folgten. Als ich mehr wusste über die Stadtteile
Grengel, Wahnheide, Wahn und Lind und die Entlastungsaufgabe der neuen
Schule, drängte ich auf eine Erkundungsfahrt; und so fuhr unsere
Familie, etwas frühzeitig, noch war nichts entschieden, von Düsseldorf
nach Porz, um meine künftige Wirkungsstätte in Augenschein zu nehmen.
Das gymnasiale Nichts jedoch, das uns in der bezeichneten Region
empfing, war überwältigend - da war nur grüne Wiese und braunes Feld,
sonst absolut nichts, keine Nachtigallenstraße, keine
Vermessungsstangen, keine Baubude, von einem Schulhaus ganz zu
schweigen. Wir kurvten eine Weile ergebnislos zwischen Grengel und
Wahnheide umher, bis wir eine Bürgerin an der Sportplatzstraße nach dem
Stand der Dinge fragten. „Nein, ein Gymnasium hier, davon habe ich
nichts gehört." Und dann setzte sie begütigend hinzu, meine betretene
Miene bemerkend: „Aber Kinder hat's genug." Eine sehr gute Antwort,
denke ich bis heute, von unabsehbarer Perspektive. Denn: ohne Kinder
keine Schule.
Tatsächlich konnte das „Staatliche Gymnasium in Porz i.E." (= im
Entstehen) dann doch zu Beginn des Kurzschuljahres 1966 anlaufen,
freilich nicht eben spektakulär. Am ersten Schultag schauten mir 41
Sextaner, die sich auf dem Schulhof des Gymnasiums an der Humboldtstraße
eingefunden hatten, erwartungsvoll entgegen, umbrandet von Hunderten von
Schülern, die alle nicht die neue Schule waren. Eilig führte ich die
kleine Schar in ihren Klassenraum, um meine Schule für mich zu haben.
Verständlich, dass eine aufmerksame Lokalpresse am folgenden Tag mit der
Schlagzeile aufmachte: „Preisfrage in Porz: Wo ist die fünfte Schule?"
Vier neue Schuleinrichtungen wurden aufgezählt und dann gerügt: „Die
fünfte, das neue Staatliche Gymnasium, (fanden wir) nicht. Die letzte
Information hatte gelautet, es komme in der neuen katholischen
Volksschule in Wahnheide unter. Dort fanden wir es nicht; es sollte- wie
gesagt wurde - im Städtischen Gymnasium an der Kaiserstraße aufgenommen
worden sein. Es wäre Sache der staatlichen Behörde gewesen, der Presse
zu sagen, wo das zweite Gymnasium zu finden ist."
Ach, meine wackeren 41 Gründungskinder, sie
waren's wohl auch ohnedem zufrieden. So lebten wir unter dem Dach des
Städtischen Gymnasiums, zehrten (dankbar) von seinen Angeboten und
hielten mangels anderer Realitäten unser „staatliches" Bewusstsein wach.
Geschichtsbewanderte Kollegen der gastgebenden Schule aber nannten den
zugereisten Schulleiter in ihrer Mitte mit liebenswürdigem Spott den
„Johann ohne Land", der, wie man nachlesen kann, der jüngere Bruder des
Richard Löwenherz und sein Nachfolger als König von England war. Von
Landlosigkeit ist da eigentlich nicht die Rede; den Beinamen Ohne-Land
gab der Vater seinem zunächst nicht erbberechtigten jüngsten Sohn, der
im übrigen mit Gütern reichlich ausgestattet war, als eine Art
Kosenamen. Doch wer will so pingelig sein und das wissen?
Als Ermutigung konnte man werten, dass das Land seine einklassige Schule
in Porz durch punktartige Signale und Impulse gleichsam ferngelenkt am
Leben hielt. Ein erster bescheidener Haushalt wurde bewilligt, der Kauf
von Aktendeckeln, Bleistiften und dergleichen möglich. Vor allem aber:
nach wenigen Wochen erhielt die Schule eine (halbe) Sekretärinnenstelle
zugewiesen, wodurch der klassenleitende Schulleiter nun wahrhaft zum
„Chef" avancierte. Gewichtig schrieb ich die Stelle in der Zeitung aus;
und wirklich meldeten sich drei Bewerberinnen - im Sekretariat des
Städtischen Gymnasiums, das eben damals für alles Gymnasiale gut war. So
präsentierte mir die dortige Sekretärin (deren jugendlicher Charme in
Porz im Gespräch war) das Ergebnis meiner Annonce, und zwar bereits
sachkundig und fürsorglich gesichtet: „Wir meinen hier: wenn doch der
Herr Direktor Schulte möchte die ältere Dame nehmen". Einmal mehr hielt
ich mich an Goethes Rat, „der Frauen Wort zu achten", fackelte nicht
lange, sondern tat so - und gewann in Frau Kühne eine tatkräftige und
loyale Mitarbeiterin, die dann zehn Jahre lang zur gedeihlichen
Entwicklung der Schule wesentlich beitrug. Bis zum Erwerb einer
schuleigenen Schreibmaschine brachte sie zunächst mal ihre eigene mit,
damit unser Sekretariat - provisorisch in einem Elternsprechzimmer
etabliert - doch nach etwas aussah.
Rasant wachsende Schülerzahlen verschafften der jungen Schule kräftigen Aufwind. Bereits zu Ende 1966 wurde sie organisatorisch selbständig: eine erste Lehrerzuweisung erfolgte, die Stadt Porz vermietete dem Land einen funktionsgerechten Pavillontrakt bei der Kopernikusschule (Bonner Straße), der eben fertig gestellt worden war. Optimismus breitete sich aus. Unvergesslich bleibt mir der Unterrichtsbeitrag eines 11jährigen aus jener Zeit, der die allgemeine Stimmung auf eine treffende Formel brachte. Ich nahm im Deutschen (viel zu früh) Rilkes Gedichte „Advent" durch. Von Tannen ist da die Rede, von denen manche ihre fromme und lichterheilige Zukunft ahnt, und so
...streckt sie die Zweige hin
- bereit, und wehrt dem Wind und wächst entgegen der einen Nacht voll Herrlichkeit. |
Das war nun also vorgetragen und verklungen.
Bemüht, aber ratlos sahen mich die Kinderaugen an. Angestrengtes
Nichtverstehen. Und ich wollte so gern etwas von Rilke (wie ich ihn
verstand) hinüberkriegen. In sträflicher Inquisition verfiel ich auf
Fragen wie: Was sagt uns das? Keine Regung in der Klasse, natürlich. Was
meint der Dichter? lasse ich nicht locker. Dann der aufzeigende Arm. Und
dann die Transferleistung ins Leben: „Das ist, wenn's Jeschäft
aufblüht". Ich ließ es, glaube ich, dabei bewenden.
Gestützt auf ein eigenes Schulhaus in Wahn (seit 1969 mit einem 1.
Bauabschnitt) und das rasch sich vergrößernde Lehrerkollegium, konnten
wir daran gehen, erstmals eine Partnerschule zu suchen und
Schüleraustausch ins Werk zu setzen. Bald war es so weit; ein
wohldurchdachtes Programm mit Exkursionen und Besichtigungen, amüsant
und lehrreich zugleich, rollte ab, und die Eltern unserer Schüler taten
ihr Bestes, um sich als vorbildliche Gastgeber zu erweisen.
Zuversichtlich sahen wir der Stunde des Abschieds entgegen, die im
Beisein der Presse ein Resümee bringen sollte von unserm Vorstoß ins
Neuland der Partnerschaft. „Wie sind eure Erfahrungen?" mussten sich die
girls and boys fragen lassen. Ihre Antwort war schlechthin verblüffend.
Nichts sagten sie vom Hohen Dom, nichts von Drachenfels und
Beethovenhaus. Nichts vom Einblick in unsern Unterricht. „Die Deutschen
essen und trinken viel", war der beherrschende Eindruck; und so stand's
tags darauf in der Zeitung zu lesen.
Wahrscheinlich endet die Frühgeschichte der Schule mit der Entlassfeier
für unsere ersten Abiturienten (1973). Ein strahlend schöner Morgen sah
eine illustre Festgesellschaft im Foyer versammelt, die Spitzen der
Stadt, das Kollegium, die Eltern, die Abiturienten, dunkler Anzug, lange
Kleider. Musik, Sonntagsreden zwischen Lorbeerbäumen, alles
heiterwürdig, eben passend, ein wenig ergriffen auch. Da naht sich der
Briefträger auf seinem täglichen Gang den Glastüren, kommt herein,
durchschreitet die Festlichkeit, ist kein bisschen irritiert, grüßt
freundlich herüber und meint höflich: „Lassen Sie sich doch bitte nicht
stören." Niemand, so kommentierte die Presse dies Ereignis, hätte an
diesem Tag hier stören können.
Vorbei, vorbei - und so geht es mit allen Geschichten. Tief ist der
Brunnen der Vergangenheit. Und vielleicht hast du ein siebtes Kind, o
Marie A. Aber da bleibt die Wolke im blauen Mond September, sehr weiß
und ungeheuer oben. So jedenfalls künden die Dichter.